Jan Geurtz, Schüler des tibetischen Arztes und Meditationslehrers Sogyal Rinpoche, arbeitet seit 1995 als Suchttherapeut. Man merkt dem Buch „Suchtfrei – die Illusion durchschauen“ sehr positiv an, dass es von buddhistischem Gedankengut beeinflusst ist. Denn Geurtz zeigt sehr einsichtig, dass hinter allen Abhängigkeiten eine grundlegende Gedanken- und Gefühlsstruktur steht, die vor allem mit der Flucht vor einem erneuten schmerzhaften Kontakt mit den eigenen „negativen“ Glaubenssätzen und den damit verbundenen unerfüllten Sehnsüchten und Bedürfnissen zu tun hat.
Den Kern der Abhänigkeitsillusion durchschauen
So lautet der Untertitel bzw. ein Kapitel des Buchs und ich finde, es wird diesem Anspruch absolut gerecht – soweit dies in einem Buch als Lehrmedium überhaupt möglich ist. Geurts nimmt seine LeserInnen auf sehr angenehme Weise mit durch die eigenen Ausreden und Ausflüchte, wenn es darum geht, seine Süchte anzusehen. Und ich habe mich ein paar Mal sehr positiv „ertappt“ gefühlt, wie Geurts meine eigenen Suchtstrukturen „durchschaut“ und beschrieben hat. Denn die geistig/mentale Grundstruktur für Abhängigkeit haben wir, wie gesagt, alle.
DAS Buch zum Thema Sucht
Es wäre eine (weitere) Illusion zu glauben, man könnte eine lange, schwere Abhängigkeit mit der Lektüre dieses Buchs beenden (das behauptet Geurtz auch nicht). Dafür ist meist die zeitweilige Unterstützung durch erfahrene Therapeuten notwendig. „Suchtfrei“ ist jedoch für mich das Buch, dass ich gerne und oft empfehle, wenn es darum geht, dieses Thema besser zu verstehen und einen Therapieansatz kennenzulernen, der auch mit dem Menschenbild der Gewaltfreien Kommunikation sehr harmoniert.
Jan Geurtz, „Suchtfrei – die Illusion durchschauen„
Schön! Dass es bei Sucht um den Versuch geht, sich vor den eigenen Glaubenssätzen zu schützen ist auch meine Meinung. Ist das nicht befreiend? Schließlich eröffnet dieses Verständnis eine Menge mehr Möglichkeiten als der Common Sense oder das, was meine Kollegen von der Biopsychologie in Maastricht behaupten…
Niklas » Was sagen denn die Kollegen aus Maastricht?
Ich denke, wenn wir beim Common Sense etwas „bohren“ kommen wir auch schnell zu dem Punkt, dass das „Selbstbild“ (die Summe meiner Glaubenssätze) sehr stark verantwortlich ist für Suchtverhalten, meinst du nicht?
Das Schöne beim Ansatz von Geurtz ist für mich, dass er nicht sagt, vor den Glaubenssätzen müsse man sich schützen – das wäre auch schon wieder eine subtile(re) Form der Gewalt (zu glauben, ich muss mich vor etwas in mir selbst schützen) – sondern dass er (sehr nahe an der Gewaltfreien Kommunikation) den „wölfischen“ Glaubenssätzen sehr liebevoll Einfühlung gibt (statt sie „loswerden“ zu wollen). Er schreibt „Schau nicht länger herab auf deine Abhängigkeit. Sie entspricht einem unverstandenen, aber tiefen und innigem Verlangen nach Schönheit, nach Zusammensein… Deine Abhängigkeit ist das Schlachtfeld deines Kampfes gegen ein mittelmäßiges, langweiliges und halbherziges Leben.“ Ist das nicht toll – jede Abhängigkeit ist eigentlich der Ausdruck einer tiefen Sehnsucht nach einem authentischen, prickelnden Leben.