Die Aussage, dass das empathische Coaching (empathische Begleitung im Sinne der Gewaltfreien Kommunikation) nicht lösungorientiert sei, höre ich manchmal von Teilnehmern, die schon Ausbildungen in NLP, lösungsfokussierter Beratung o.ä. absolviert haben. Diese Teilnehmer erleben Empathieprozesse mit Gewaltfreier Kommunikation und bekommen dabei, so scheint es mir, ihre Erfahrungen aus den unterschiedlichen Ausbildungen nicht so ganz zusammen. Zum einen erleben sie, welche erleichternde und (er-)lösende Wirkung Empathie hat, zum anderen sind sie verunsichert, weil am Ende eines solchen Gesprächs nicht immer konkrete Lösungswege stehen. (Manchmal habe ich auch den Eindruck, dass sie selbst (als Unterstützer) mehr die Lösung brauchen als ihr Klient, für ihr Selbstbild, als Erfolgsbeweis… aber das ist ein anderes Thema.) Ich möchte hier zeigen, warum ich die Unterscheidung „Lösungsorientiert, oder nicht?“ für wenig hilfreich und manchmal auch für lebensfremd halte.
Kurz oder tief? Verhaltens- oder analytische Therapie
Grob vereinfacht gibt es zwei gegenläufige Denkrichtungen für die Erkärung und Veränderung menschlichen Verhaltens. Einerseits die der Psychoanalyse bzw. der Tiefenpsychologie, andererseits die der verhaltensorientierten Schulen. Die verhaltensorientierten Therapien sind als Gegenbewegung zu den „tiefschürfenden“ Therapien entstanden, die ihre Wurzeln in der Tiefenpsychologie haben. Auf einen kurzen Nenner gebracht lautet der Unterschied:
Die Verhaltenstherapien gehen davon aus, dein Problem kannst du auch lösen, ohne die Verwicklungen aus deiner Vergangenheit / Kindheit (oder noch davor ;o) angeschaut und geklärt zu haben. Es reiche im wesentlichen, das problematische Verhalten zu betrachten und es, mit Unterstützung des Therapeuten/Coachs zu ändern, d.h. neue Verhaltensweisen einzuüben, damit man neue Erfahrungen macht und durch diesen Verstärkungseffekt positive Rückmeldungen bekommt.
Die psychoanalytischen Therapien gehen davon aus, dass es keine nachhaltigen Änderungen geben kann, solange man nicht die un-/vorbewusste seelische Dynamik, die dem Verhalten zugrunde liegt, erkannt und gelöst hat. Sie sind der Ansicht, dass man die tieferliegenden Gefühls- und Verhaltensmuster aufdecken muss, die einen immer wieder in problematische Situationen führen.
Ich denke, beide haben Recht – aber nicht immer und nicht bei jedem Veränderungsprozess. Ich muss nicht für jedes Problem, das mich belastet meine ganze Lebensgeschichte anschauen – aber manchmal muss ich eben doch tiefer graben, als es auf den ersten Blick aussieht.
Empathische Unterstützung sucht die erlösenden Bedürfnisse
Die Gewaltfreie Kommunikation und das empathische Coaching stehen nicht im Gegensatz zu diesen beiden Richtungen, sie haben eher eine Mittelstellung. Als empathischer Unterstützer konzentriere ich mich in jedem Moment bei meinem Klienten auf die aktuellen Gedanken, Gefühle und damit verbunden Bedürfnisse. Dieser Empathieprozess führt manchmal zu einer sehr konkreten Lösungssuche für ein aktuell unerfülltes Bedürfnis, und manchmal zum Trauern und Aufarbeiten von Situationen, die der Lösung der Situation im Wege stehen. (By the way, eigentlich überflüssig, aber da wir in Deutschland eine strenge Gesetzesregelung dafür haben, wer was wie mit Menschen tun darf, oder nicht, hier eine Klarstellung: Ich berate, trainiere und unterstütze ausschließlich gesunde Menschen. Die Diagnose und Therapie psychisch kranker Personen ist dafür ausgebildeten Ärzten und Psychotherapeuten vorbehalten. Da die dahinterliegende Logik alles andere als logisch ist, erlaube ich mir in diesem Zusammenhang auf die Artikel des Dipl.-Psych. Dr. Hans Ulrich Gresch hinzuweisen: Mythen der Psychotherapie)
Ein Beispiel aus meiner Arbeit: Ein Lehrer möchte eine Situation mit seinem neuen Chef klären. Der Chef hat viele Änderungen im Schulalltag durchgesetzt, mit denen er, als altgedienter Mitarbeiter, nicht immer einverstanden ist. Er erzählt von seiner Demotivation, seinem Frust, seiner wachsenden innerlichen Entfernung zu seinem Vorgesetzten und zum „System Schule“.
Wenn ich einen lösungsorientierten Blick auf die Situation gehabt hätte, hätte ich wahrscheinlich gefragt, was er denn z.B. vom seinem Chef genau möchte und ihn dabei unterstützt, das Gespräch zu suchen, dafür ein Rollenspiel gemacht etc. Wenn ich einen analytischen Fokus eingenommen hätte, hätte ich vielleicht gefragt, an wen ihn sein Chef erinnert, ob er sich schon früher hilflos gefühlt hat etc.
Im empathischen Coaching habe ich ihn immer wieder auf seine aktuellen Gefühle und Bedürfnisse angesprochen, wenn er von seinen Erfahrungen erzählt hat. Dadurch kam er in Kontakt mit seiner schmerzlichen Sehnsucht nach Zugehörigkeit und Vertrauen, was ihn in seiner Erzählung zu einem ganz bestimmten Erlebnis führte, dass er schließlich als „Frustquelle“ identifizieren konnte. Durch das Betrauern des Vorfalls und die Empathie für die Enttäuschung und Einsamkeit, die er damals erfahren hat, konnte sich in ihm etwas lösen und er konnte dann von sich heraus seine Situation anders sehen und neu angehen.
Nicht „Lösungsorientiert, oder nicht?“ – sondern „Lösung für was?“
Meiner Ansicht nach ist die Gewaltfreie Kommunikation durchaus lösungsorientert, auch wenn es für unerfahrene Beobachter manchmal nicht so aussieht – wir legen nur sehr viel Wert darauf, erst einmal einen bewussten Kontakt zu den unerfüllten Bedürfnisse zu finden, die nach Lösung suchen. Diese Herangehensweise erscheint mir sehr viel sinnvoller (und menschenfreundlicher) – denn was machen die „Lösungssucher“ mit Problemen des Lebens, für die es eben erst mal keine Lösung gibt? Mit den Fällen von völliger Ausweglosigkeit und schmerzhafter Unentschiedenheit? Mit Verlusten, unheilbaren Krankheiten und – dem Tod?
In diesen Fällen von „Lösung“ zu sprechen macht keinen Sinn und sieht auch die Lage des betroffenen Menschen nicht. Hier geht es in der empatischen Begleitung viel eher nur darum, mit dem Leid präsent zu sein, auch und gerade weil es für manche Themen keine Lösung oder Ausweg gibt. Bei mir bleibt nach solchen Gesprächen meist eine tiefe Dankbarkeit und Demut. Dankbarkeit für das Vertrauen, das mir mein Klient schenkt und Demut dafür, dass es für das Leben an sich eben keine Lösung gibt.
(PS: Mein herzlicher Dank an Alois Witzigmann für die Korrektur dieses Artikels!)
Hi Markus, es gefällt mir, dass Du die Frage so stellst: „Lösung für was“! Weil sie Raum bietet, ein Thema erstmal anzunehmen, bevor ich etwas verändere. Dagmar