+49 157 7522 8823 oder +49 172 6046091 info@knotenloesen.com

Ein Beitrag zum Blog-Karneval Mediation von Kirstin Nickelsen.

Als Mediator möchte ich, wie sicher viele meiner KollegInnen auch, etwas zu einer positiven Veränderung in dieser Welt beitragen. Daher beschäftigt mich seit vielen Jahren die Frage, ob und wenn ja, in welchem Ausmaß Mediation zum sozialen Wandel in Wirtschaft und Gesellschaft beiträgt?

Im Laufe der Zeit und nach vielen positiven, aber auch einigen ernüchternden Erfahrungen hat sich meine Antwort auf diese Frage von einem begeisterten „Ja!“ zu einem vorsichtigeren „Manchmal!“ gewandelt. Etwas provokativer (und beunruhigender) könnte ich mich auch fragen: Wann macht meine Arbeit als Mediator eigentlich Sinn?

Sozialer Wandel: Vom Dominanz- zum Partnerschafts-Paradigma
Grundsätzlich, ohne hier ins Detail zu gehen, meine ich mit sozialem Wandel den Übergang von einem dominanzorientierten zu einem partnerschaftlichen Umgang -in Familien, Schulen, Organisationen, Unternehmen, in der Gesellschaft als Ganzes.

Dominanzsysteme zeichnen sich aus durch „Macht-über-Menschen“, sie betonen Pflicht, motivieren mit Strafe und Belohnung, zeichnen sich durch Macht-Hierarchien, Status und Konformität aus; Partnerschaftssysteme dagegen sind durch „Macht-mit-Menschen“ gekennzeichnet, sie betonen Kommunikation, funktionelle Hierarchien, motivieren durch intrinsische Motive, betonen Authentizität und Individualität. Bahnbrechend sind hier sind die Arbeiten von Riane Eisler, Alfie Kohn, David Korten, Marshall Rosenberg u.a. Diese kleine Übersicht zeigt, ohne annähernd vollständig zu sein, einige Unterschiede von partnerschaftlich versus dominanzorientierten Systemen.

Die Frage ist also, inwieweit Mediation zur Weiterentwicklung und Veränderung dominanzorientierter Strukturen beiträgt?

Translative und transformative Mediation
Der Philosoph Ken Wilber hat darauf aufmerksam gemacht, dass man bei der Frage nach Entwicklung und Veränderung von Strukturen einen grundsätzlichen Unterschied zwischen Transformation und Translation machen muss.

Transformation meint den substantiellen Übergang von einer Entwicklungsstufe zur nächsten (also z.B. vom Dominanz- zum Partnerschaftsparadigma). Translation dagegen meint eine anpassende Veränderung auf der jeweiligen Entwicklungsstufe, um mit den Gegebenheiten besser zurecht zu kommen. Während Transformation eher herausfordert, in Frage stellt und zu Wachstum führt, beruhigt Translation, läßt die Beteiligten sich wieder besser fühlen und funktionieren.

Mediation kann zur Transformation beizutragen
Das Win-Win-Paradigma der Mediation kann durch den Machtausgleich zwischen den Konfliktbeteiligten durchaus zu einem wachsenden, partnerschaftlichem Bewußtsein beitragen. Die Mediation hebt die dominanzorientierte Machthierarchie zeitweise auf (nicht aber die funktionale, partnerschaftliche Hierarchie). Ein Vorgesetzter bleibt auch in einer Mediation funktional verantwortlich, gleichzeitig kann er sich in der Argumentation nicht auf Status, Privilegien oder Einschüchterung zurückziehen. Durch eine erfolgreiche Mediation können dominanzbetonte Führungskräfte erleben, dass Effektivität und Menschlichkeit kein Widerspruch sein muss.

Mediation in der Praxis wirkt meist translativ
Allerdings ist die Gefahr groß, dass Mediation in den meisten Fällen eher der Translation als der Transformation dient – dem besseren Funktionieren der Struktur bzw. Organisation ohne das grundlegenden Dominanz-Denken zu verändern. Konflikte werden gelöst, ohne die konfliktfördernden Ursachen zu benennen, geschweige denn zu beseitigen. Dies ist ungefähr so, um ein Bild zu nutzen, wie wenn man von der überkochenden Milch immer wieder den Schaum abschöpft, ohne jemals daran zu denken, die Heizplatte kleiner zu drehen.

Transformative Mediation hieße, Auftraggebern und Konfliktparteien (vor, nach und während einer Mediation) behutsam aber hartnäckig bewußt zu machen, dass sie in einem Dominanzsystem arbeiten und viele Konflikt systembedingte Symptome sind, die immer wieder auftreten werden, solange nicht die grundlegenden Entscheidungs- und Funktionsstrukturen angepasst werden.

Wann Transformation, wann Translation?
Es ist für Klienten eine frustrierende Erfahrung, dass auch nach einer erfolgreichen Mediation die gleichen Spannungen und Konfliktthemen wieder auftauchen. Ein typisches und häufiges Beispiel in Organisationen ist Mobbing, dass, wenn grundlegende Führungs- und Organisationsdefizite nicht beseitigt werden, auch nach einer erfolgreichen Mediation regelmäßig wieder auftreten wird. Dies ist ein typisches Sypmtome dafür, dass die Mediation nur translativ wirkte und die notwendige Transformation des Systems noch aussteht.

Translation hat ihre Berechtigung – ich möchte nicht so verstanden werden, dass ich translative Mediation für überflüssig oder gar schlecht halte. Sie dient dem psychischen und seelischen Wohlbefinden der Beteiligten und ist daher absolut notwendig und hilfreich. Es ist jedoch genauso notwendig, dass Mediator- und KonflikttrainerInnen sich des grundsätzlichen Unterschieds zwischen transformativen und translativen Veränderungen bewußt sind, um ihren Klienten die angemessene Unterstützung anbieten zu können.

Sonst besteht die Gefahr, dass durch eine Mediation oder andere Beratungsansätze mit translativer Wirkung die ungesunden, konflikt- und gewaltfördernden Strukturen in Familien, Organisation und Unternehmen erhalten bleiben – zum Nachteil aller Beteiligten.

Markus Sikor