Der langjährige CNVC Trainer und Consultant Wes Taylor hat am 1. März 2012 einen Brief in der CNVC-Trainerliste geschrieben, den wir hier mit seinem Einverständnis in Ausschnitten übersetzen. Wes spricht uns damit aus dem Herzen.
Im Bewusstsein der GFK-Gemeinschaft, und auch der gegenwärtigen Organisation (des CNVC), liegt einiges im Argen. Wes sieht bereits seit Jahren ein „niederbrennendes Haus“. Und er meint, dass sei auch darin begründet, wie die Gewaltfreie Kommunikation weitläufig verstanden und gelebt wird:
Sanftmut, Freundlichkeit und Empathie werden wichtiger genommen als Verantwortlichkeit und Wahrheit.
Es wird viel Zeit darauf verwendet, einfühlsam miteinander zu sein und sich um die Empfindlichkeiten zu kümmern, die wir alle haben, AUF KOSTEN der Erfüllung von mehr Bedürfnissen.
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Brief von Wes Taylor vom 1. März 2012 an die CNVC (Center for Nonviolent Communication)-Trainerliste:
ich fürchte wir sehen die NVC (Nonviolent Communication/Gewaltfreie Kommunikation) unterschiedlich: In der Gewaltfreien Kommunikation gibt es nichts, was mir zu verstehen gibt, das ich angesichts eines niederbrennenden Hauses Zeit damit verbringen sollte, nach Ablagefächern von unverbrannten Möbeln, …, zu schauen oder die schöne Landschaft rund um das brennende Haus zu bewundern – also „danach zu schauen, wo Bedürfnisse erfüllt wurden und wo nicht“.
Das zu tun würde bedeuten, auf tragische Weise die Gelegenheit zu verpassen, dem Leben am stärksten zu dienen durch die Rettung von Menschen aus dem Haus, das Ausbreiten des Feuers zu verhindern oder andere solch mutige Aktionen, die möglicherweise auch heftige Worte einschließen, dramatische Handlungen, oder Menschen zu sagen, aus dem Weg zu gehen.
ICH schreie (vom Herzen), dass unser Haus (CNVC) seit Jahren niederbrannte, bevor der Bau erst fertig war. Ich sehe immer noch schwelende Glutnester und ein paar Flammen, mit denen wir uns noch nicht vollständig befasst haben. Ich bin traurig, das, während ich meine Wahrheit über den CNVC und, bedeutender, unser Gemeinschaftsbewusstsein ausdrücke, du und andere Kritik und *moralistische* Urteile hören und nicht meinen Appell, die Schönheit zu erschaffen, die in unserer Arbeit eingebettet ist.
Wenn du nicht die Schönheit in meinem Appell hören kannst, möchte ich tatsächlich, dass du Bewertung hörst – ja ICH BEWERTE – Gewaltfreie Kommunikation lehrt uns, wie wir lebensdienlich bewerten können. …Ich treffe eine Bewertung über die Effektivität (dem Leben, dem tatsächlich gedient wird) einer Organisation und ihrer Führung in Bezug darauf, was sie sich vorgenommen hat zu schaffen.
Es scheint mir, dass ich mehr Wert lege auf Verantwortlichkeit als auf Sanftmut, Freundlichkeit und Empathie. Ich bin schrecklich besorgt und tief entmutigt, wenn ich in deinem Gespräch (und in Gesprächen in unserer Gemeinschaft allgemein) größeres Gewicht gelegt sehe auf das Erleben (oder die Abwesenheit) von Freundlichkeit und Verbindung, die in Gesprächen angesichts kritischer Dynamik (unerfüllte Bedürfnisse) gegenwärtig ist, als auf die Dynamiken selbst.
Mein Verständnis davon, in einer lebensdienlichen Weise zu kommunizieren, ist es, dass wir, während wir verantwortungsbewusst sprechen, unsere Bewertungen besitzen, die Bedürfnisse der Zuhörer gleichzeitig mit unseren eigenen wichtig nehmen, und wir die Gefühle (oder Bedürfnisse) des Zuhörers nicht priorisieren als immer gleichermaßen Zeit und Aufmerksamkeit erfordernd (besonders, wenn eine Tragödie fortschreitet).
Ich bin der Muster in unserer Gemeinschaft (und in Führungsdiskussionen) müde, Zeit darauf zu verwenden, einfühlsam miteinander zu sein und sich um die Empfindlichkeiten zu kümmern, die wir alle haben, AUF KOSTEN der Erfüllung von mehr Bedürfnissen und wahrer Schöpfung. Ich setze mich dafür ein, den Fokus wieder auf die greifbaren Dringlichkeiten zu richten, in der Regel (aber nicht immer) nach dem Hören und Wahrnehmen der Bedürfnisse der anderen.
Marshall ließ in mir eine Glocke läuten, als ich ihn im Jahr 1999 fragte: „Willst du also sagen, dass dein höchster Wert NICHT Mitgefühl oder Verbindung ist, sondern stattdessen dem Leben zu dienen?“ und er antwortete: „Genau.“ Und dies klingt in mir bis zum heutigen Tag nach. Natürlich will ich keine falsche Gegensätzlichkeit aufstellen – die überwiegende Zeit können wir beides tun. Jedoch werden in der realen Welt, mit begrenzten Ressourcen zu einem bestimmten Zeitpunkt, Entscheidungen getroffen. Ich glaube, dass der CNVC und unsere Gemeinschaft in einem chronischen Zustand waren, dem Leben unzureichend zu dienen und doch höre ich dich danach fragen, Bedürfnisse, die erfüllt wurden, in ausgewogener Weise mit den unerfüllten Bedürfnisse zu beachten. Diese Bitte lässt mich schmerzhaft sehnen nach gemeinsamen Werten, gemeinsamem Fokus und sogar gemeinsamen Zielen.
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Zur Person: Wes Taylor
Wes half dabei 1998 das „Flagstaff Center for Compassionate Communication“ zu gründen, um die NVC in Nord-Arizona zu verbreiten und das weitere NVC-Netzwerk zu unterstützen. Seitdem ist Wes als unabhängiger Consultant and Trainer tätig in öffentlichen Veranstaltungen sowie in Organisationen aller Größen. Er bringt die NVC gegenwärtig zum Einsatz im „Mercy Medical Center“, einem großen Krankhaus in Baltimore, Maryland, wo er verantwortlich dafür ist, eine Kultur des Mitgefühls und der Verantwortlichkeit zu fördern.
Lieber Thomas,
danke für deine Übersetzung und das Einstellen. Mir gefällt die Art von Wes sehr, wie er zu mehr Ehrlichkeit und Verantwortlichkeit beiträgt.
Das Wes dasselbe Bild verwendet wie du (die Hütte brennt…), zeigt ein gemeinsames Verständnis, das mich hoffen lässt…
Alexandra Boos
Ich stimme dem voll und ganz zu.
Gefällt mir so sehr, dass ich mich in meiner Vorgehensweise umd Umsetzung bestätigt sehe. Danke für die Zeilen! Seit Tagen, Monaten beobachte ich eine sogenannte „wir -haben-uns-alle-lieb“ Mentalität unter GFK-lern die mir persönlich nicht behagt. Das geht mir sowas auf den Senkel weil ich gern mit meinem Problem gesehen werden möchte und nicht etwas was „krampfhaft“ versucht die GFK-Methodik unzusetzen. Ja, und hier sehe ich dann das „Haus brennen“!
Nein, ich bin kein zertifizierter Trainer. Bin vllt. auch froh darüber weil ich nicht weiß wie sowas zertifiziert werden kann. Mich hat schon seit jeher Marshall mit seinen Gedanken und Haltung fasziniert. Genau, „dem Leben dienen!“ Und dazu gehört nicht „immer“ Friede-Freude-Eierkuchen.
Grüßle Georg
Vielen Dank für die Veröffentlichung, die einerseits (leider) auch meinen Eindruck der „GfK-Szene“ bestätigt.
Andererseits scheint mir der Auszug aus dem Brief zwar ‚GfK-Vokabeln“ zu enthalten (Nennung von Gefühlen und ‚Bedürfnissen‘, allerdings werden Beobachtungen mit Interpretationen bzw. gemischt: z.B. “ Ich sehe immer noch schwelende Glutnester ….“. Glutnester sehen ?!
Was ich unterm Strich rauslese ist die Frustration mit der wahrgemommenen aktuellen Situation im CNVC, ich frage mich allerdings, a) ob diese Offenbarung dieses Auszugs nicht nur etwas für ‚Insider‘ ist, die etwas von den Hintergründen mitbekommen haben und vor allem
b) Was soll mit diesem Auszug eigentlich bewirkt werden (Intention)?
Soll es verdeutlichen, dass ‚etwas nicht stimmt‘ und es anders gehen kann? Oder „Sollen (deutsche) Leser_innen ermutigt werden zu erkennen, dass es eigentlich keinen CNVC bzw. Dachverband braucht- aber dann auch keine NVCTrainerAkademie?!
Wenn der Briefauszug in der Form hier veröffentlich ist, kann ich auchkritisch interpretierren, dass ’selbst‘ Wes Taylor und die Trainer_innen der NVCTrainerAkademie GfK wiederum ‚anders‘ verstehen, als ich (in meinen Gfk-frustfreien‘ Momenten….
Soweit erstmal, viele Grüße aus Berlin
Ulrich Just
Lieber Ulrich,
danke für Deine Anmerkungen aus Berlin.
Du vermutest, dass Du auch in deinen „GfK-frustfreien Momenten“ ein anderes Verständnis von GfK hast als Wes oder wir von der Trainerakademie. Diesen Eindruck teile ich, da ich aus deinen Zeilen herauslese, das Du gern eine GfK-Sprache hättest, die du eindeutig als GfK erkennen kannst; dass Wes also am besten stets Beobachtungen von Interpretationen trennt und keine bewertenden Bilder malt wie die von „schwelenden Nestern“.
In unserem Verständnis lässt es sich jedoch nicht an den Worten ablesen, ob Gesagtes aus einem GfK-Bewusstsein heraus gesagt ist – und ich denke, dass der langjährige, erfahrene GfK-Trainer Wes sich sehr wohl seiner Gefühle und Bedürfnisse z.B. in Bezug auf den gegenwärtigen Zustand des CNVC und der GfK-Gemeinschaft bewusst ist. Und er wählt diesen (für mich!) sehr lebendigen Ausdruck, um der Gemeinschaft mitzuteilen, was ihm wirklich am Herzen liegt. Sicherlich vertraut er dabei auch darauf, dass andere GfK-kundige Menschen sich in seinem Ausdruck mit seinen Gefühlen und Bedürfnissen verbinden können – oder sie bei ihm nachfragen, wenn sie keine Verbindung bekommen.
Zu deiner Frage, ob es überhaupt Organisationen braucht: Wir wollen sicherlich nicht nahelegen – ebensowenig wie Wes denke ich -, dass es keine Organisationen braucht. Ganz im Gegenteil denke ich, dass es zur weiteren Verbreitung der GfK überzeugende Organisationen und Kooperationen braucht, und zwar solche in denen Menschen die Werte der Gewaltfreien Kommunikation in Bezug auf den Umgang mit Macht, Beteiligung, Führung und Verantwortlichkeit effektiv leben und vermitteln.
Mit herzlichen Grüßen aus Konstanz
Thomas