Viele frisch ausgebildete MediatorInnen sind erst mal enttäuscht, wenn sie feststellen, dass die Klienten nicht in ihr Büro stürmen sobald sie das Praxisschild neben die Haustür gehängt haben. Da helfen auch ausgefeilte Marketingmaßnahmen nicht unbedingt weiter(wie sie z.B. Frau Deutschman in ihrem Ratgeber „Mediation: Existenzgründung, Marketing, Kundengewinnung“ beschreibt).
Letztes Jahr habe ich erlebt wie – welch Ironie – eine Mediatorin in einer schwierigen Vertragsverhandlung mit einer anderen Mediatorin stand. Was passierte wohl, als die Gespräch schwieriger wurden? Die eine Mediatorin begann per Anwaltsschreiben und Androhung von Regressansprüchen ihre Kollegin unter Druck zu setzen, welche dann aus Angst auch eine Anwältin in Anspruch nahm.
Wenn selbst ausgebildete Konfliktarbeiter unter Stress nicht auf das Mittel der Mediation zurückgreifen, wie groß wird dann wohl die Motivation beim „Mann/Frau von der Straße“ sein?
Das Entwicklungsmodell Spiral Dynamik hilft uns, diese Phänomene zu verstehen und damit als MediatorInnen sinnvoll umzugehen.
70 – 80% der Bevölkerung wollen „Recht bekommen“ oder „Gewinnen“
Menschen handeln in Konflikten überwiegend von ihrem moralisch/ethischen Schwerpunkt aus. Nach den Studien der Psychologen Graves und Beck kann man davon ausgehen, das in Industrieländern ca. 70-80% nach folgenden Prinzipien denken und handeln:
– „Es muss höhere Ordnung und Gerechtigkeit geben – und Gerichte sind dazu da, dies zu entscheiden und durchzusetzen“. (BLAU im System von Spiral Dynamics)
– „Es gibt keine höhere Ordnung. Recht ist eine subjektive Auslegungssache. Ich nutze das Rechtssystem, weil es mir Vorteile verschafft.“ (ORANGE im System von Spiral Dynamics)
Nur maximal 10-15 % der Bevölkerung sind laut Beck auf einer ethisch/moralischen Entwicklungsstufe (Sozial/Parnterschaftlich/Sensitiv – GRÜN oder Integrativ/Holistisch – GELB oder höher) die aus sich heraus (!) zuerst an Mediation denken würden, wenn sie in einem Konflikt stecken!
Nur 10-15% wollen Mediation
Diese Zielgruppe wird also typischerweise in den Flyern und anderen Marketingmaßnahmen angesprochen, in denen MediatorInnen ihre Dienste anpreisen. Der größte Teil der Werbemaßnahmen im Bereich Mediation geht also an der Mehrheit der Menschen schlicht vorbei, weil die Vorteile der Mediation in deren Weltbild (BLAU oder ORANGE) gar nicht vorkommen. Diese Mehrheit mag sich im besten Falle im Konflikt daran erinnern, dass es „da doch noch so was Psychologisches gab, wie man Konflikte auch lösen kann“, aber sie entscheidet sich dann eben doch für die „sichere Seite“ – ihren Anwalt.
Was also tun, wenn man von den Möglichkeiten der Mediation begeistert ist – und damit aber auf einem Markt bestehen muss, der relativ „eng“ ist?
Hier ein paar Ideen dazu aus meiner 10-jährigen Praxis:
Die Tatsache, dass Mediation eine recht hohe Entwicklungsstufe bei der Konfliktklärung darstellt, heißt ja nicht, dass sie den anderen Stufen nichts anzubieten hätten – ganz im Gegenteil: Hier liegt aus meiner Sicht das große Potential für ganzheitlich ausgebildete MediatorInnen.
Ken Wilber beschreibt zwei grundsätzlich unterschiedliche Strategien, mit den Gegebenheiten umzugehen. Zum einen kann man Menschen dabei unterstützen, auf ihrer jeweiligen Stufe „gesund“ zu werden bzw. zu bleiben (translativer Ansatz).
Oder Sie entscheiden sich, die Menschen auf der jeweiligen Ebene „abzuholen“, und ihnen dann zu einer „weiteren Sichtweise“ zu verhelfen (transformativer Ansatz).
Und, by the way, mit beiden Ansätzen können Sie ihren Lebensunterhalt verdienen, keine Sorge ;o)
Translativer Ansatz
Mir gefällt der Satz des Psychologen Clare Graves: „Menschen haben, verdammt noch mal, das Recht so zu bleiben wie sie sind.“ Ein translativer Ansatz respektiert Menschen, wie immer sie auch sind und möchte „nur“ dafür sorgen, dass sie in diesem „So-Sein“ gesund und glücklich sind.
In der Praxis könnte das heißen, dass Sie BLAUE Klienten nicht davon zu überzeugen suchen, dass Mediation „besser“ sei (weil Sie das im übrigen auch gar nicht wissen können!). Sie würden eher eine unterstützende Begleitung anbieten, um entweder die Gerichtsverhandlung emotional vorzubereiten und/oder die Folgen eines Rechtsstreits zu verarbeiten.
Mit ORANGENEN Erfolgsmenschen werden Sie genau klären, was „Gewinnen“ heißen soll, was die Kosten / Erträge eines bestimmten Konfliktausgangs sind etc. Vielleicht ergibt sich daraus dann eine Mediation, vielleicht aber auch eine Einzelberatung etc.
Der translative Ansatz umfasst also alle Arten der Unterstützung, der Menschen „läßt wie sie sind“, und sie dabei unterstützt, sich auf dieser Stufe wohler, gesünder, glücklicher zu fühlen.
Transformativer Ansatz
Spiral Dynamics geht davon aus, dass im Menschen alle Entwicklungsebenen angelegt und ansprechbar sind. Daher besteht in der Mediation auch eine echte Chance, dass Menschen einen „kleinen Sprung“ in ihrer ethischen Entwicklung machen, wenn sie erleben, dass Konflikte tatsächlich besser gelöst werden können als durch einen Gerichtsstreit.
Allerdings dürfen wir uns da nicht allzu großen Hoffnungen hingeben. Ken Wilber geht davon aus, dass jeder größere „Entwicklungssprung“ beim Menschen mehrere Jahre benötigt (er spricht meist von 5 Jahren). Dennoch kann eine erfolgreiche Mediation ein absoluter „Augenöffner“ sein für einen BLAUEN Gerechtigkeitsfundamentalisten oder einen ORANGENEN Siegertypen.
Im allgemeinen ist eine Mediation aber sicher eine zu kurze Intervention, um eine echte Transformation zu unterstützen. Für diesen Bereich bieten sich eher Angebote wie längere Einzelberatungen, Coaching oder Seminare (Jahresgruppen) an. Auf jeden Fall haben MediatorInnen hier vielen Menschen etwas sehr Wichtiges anzubieten. Denn meist spüren sowohl BLAU als auch ORANGE, dass es „mehr“ geben muss, als „Recht zu bekommen“ oder „zu gewinnen“. Wenn wir diese Sehnsucht nähren und erfüllen, dann geben können wir ihnen wichtige Impulse geben auf ihrem Weg zu mehr Mitgefühl, Menschlichkeit und Ganzheit.