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Zusammenfassung

Haltung und Persönlichkeitsentwicklung beschreiben notwendige, innere Qualitäten von Beratern, Therapeuten oder Trainern. Die Forschung zeigt die Entwicklungsstufen von Haltung und Persönlichkeit. Transformation, Translation und Regression sind die drei Richtungen dieser Entwicklung. Das große Missverständnis der Gewaltfreien Kommunikation ist der Glaube, sie führt automatisch zur Transformation. Entscheidend ist, ob transformative, translative oder regressive Lernsituationen geschaffen werden. Die Tendenz zur Regression ist ein Problem in der Gewaltfreien Kommunikation.


Haltung ist (fast) alles

Carl Rogers wies als einer der ersten darauf hin, dass die Persönlichkeit und Haltung des Therapeuten der wichtigste Faktor ist, weniger seine Methode oder Technik. Rogers sah jedoch bereits die Gefahr voraus, dass versucht wird, aus der Haltung auch wieder eine Technik zu machen, die antrainiert werden kann. Haltung muss, nach Rogers, als ein „sense of being“ („Wesensart”) verstanden werden und diese kann man sich nicht einfach aneignen wie eine Methode.

Im therapeutischen Setting wird von „systemischer“, „ressourcenorientierter“, „gewaltfreier“, „wertschätzender“ etc. Haltung gesprochen. Ich möchte Haltung offener definieren. Ich verstehe unter Haltung den Kontext des Denkens, Fühlen- und Handelns. Der Begriff Kontext finde ich hilfreich, denn er bedeutet “Sinnzusammenhang”, „Hintergrund“ oder “Zusammenhang, in dem bestimmte Dinge stehen oder betrachtet werden müssen” (Definition des Duden).

Haltung ist das, was man nicht sieht

Die Haltung des Beraters ist das, was man nicht sehen, hören, beobachten kann sondern das, was sich durch die Inhalte, Methode und Technik hindurch ausdrückt. Die Methode und Technik ist dagegen das, was man bei einem Berater beobachten kann, das was er sagt oder tut. Haltung ist wie die angenehme Hintergrundmusik beim perfekten Candle-light-Dinner – man nimmt sie kaum wahr, aber wenn sie aufhört, merkt man es sofort. Sie ist der innere Raum eines Beraters, gefärbt von seiner Lebenserfahrung, seinen Werten, seinen Licht- und auch Schattenseiten.

Die Haltung bildet den Zusammenhang, ohne den eine Beratungstechnik weder richtig verstanden, noch richtig angewendet werden kann. Unser Denken, Fühlen und Handeln wird durch die „Hintergrundmusik“ der Haltung geprägt und gefärbt. Wie der dezente Geruch eines Parfüms bestimmen Haltung und Persönlichkeit, den grundlegenden „Geschmack“ hinter den Gedanken, Gefühle und Handlungen.
Dies ist uns kaum oder gar nicht bewusst, denn Haltung und Persönlichkeit sind viel zu sehr mit unserem Wesen verknüpft und identifiziert, als dass wir diese mit Abstand betrachten könnten.

Darf man stehlen? Haltung – was die Forschung sagt

Wer „hard facts“ für diese „soft skills“ sucht, für den hält die Forschung einige Überraschungen bereit. Psychologen und Soziologen haben in den letzten Jahrzehnten viele Untersuchungen durchgeführt und dabei Interessantes ans Licht gebracht. Dazu haben sie Personen über viele Jahre hinweg zu ethischen, moralischen oder politischen Themen befragt. Der Psychologe Lawrence Kohlberg (1927 – 1987) hat bspw. in einer Studie folgende Frage gestellt: „Ihre Frau ist todkrank und Sie haben kein Geld. In der Apotheke gibt es ein sehr teures Heilmittel. Dürfen Sie das Mittel stehlen?“. Was dabei herauskam, war überraschend.
Es stellte sich heraus, dass sich die Antworten bei den Befragten im Laufe ihres Lebens verändern, und dass die Richtung dieser Veränderung immer gleich war. Dabei gab es im wesentlichen drei Kategorien von Antworten. Kohlberg nannte sie „präkonventionelle“, „konventionelle“ und „postkonventionelle“ Antworten.

Darf man stehlen ? Ja, Nein oder Ja

Präkonventionelle Antworten drücken eine Haltung aus, die sich sich nicht um Regeln und Gesetzte (Konventionen) kümmert, sondern allein um die eigenen, egoistischen Wünsche und Bedürfnisse. Meist geht es darum, Bestrafung/Schmerz zu vermeiden. Also eine Antwort wie „Klar stehle ich das Medikament. Mir sagt niemand was ich zu tun oder zu lassen habe!“

Konventionelle Antworten orientieren sich an dem, was „sich gehört“, an festgeschriebenen Normen und Gesetze, und an den Moralvorstellungen der Gruppe, der man angehört. Also bspw. eine Antwort wie „Nein, stehlen darf man nicht, auch wenn ich einen Vorteil davon habe. Wenn das jeder machen würde.“

Postkonventionelle Antworten reflektieren die vorherrschende Moral vor dem Hintergrund universeller ethischer, rational begründeter Normen, beziehen das eigene Gewissen mit ein und versuchen stimmige, widerspruchsfreie Lösungen zu finden. Also etwa: „Natürlich stehle ich das Medikament. Gesellschaftliche Regeln dürfen nicht über dem Leben eines Menschen stehen.“

Interessant in Bezug auf die Ausgangsfrage ist in der Studie, dass sowohl die prä- als auch konventionelle Haltung Gründe für oder gegen den Diebstahl nannten – die postkonventionelle Haltung den Diebstahl jedoch immer gut hieß und keine Gegenargumente fand. Menschliches Leben steht über dem Gesetz, so die universelle, postkonventionelle Haltung.

Transformation – das Wachstum des Menschen

Ebenso interessant ist, dass sich die Antworten im Laufe Zeit veränderten, und zwar von einer präkonventionellen, über eine konventionelle hin zu einer postkonventionellen Haltung – jedoch nicht anders herum. In der Persönlichkeitsentwicklung gibt es also eine Tendenz zur Entwicklung „nach oben“, zur Weiterentwicklung, die man Transformation nennt. Die späteren, höheren Ebenen (konventionell, postkonventionell) sind umfassendere, höhere Entwicklungsebenen, die sich durch mehr Mitgefühl, mehr Humanität, mehr Liebe, mehr Perspektiven etc. auszeichnen. Im Bild ist dies eine Bewegung aufwärts.

Dies ist allen Eltern völlig geläufig – denn als Eltern ersehnt man wenig mehr als die Zeit, an dem Kinder und Jugendliche ihre egozentrische (präkonventionelle) Sichtweise etwas lockern und aus sich heraus die erwachsenen Belange ins Kalkül ziehen können (wann dies ein „Können“ oder ein „Wollen“ ist, ist der schwierige erzieherische Aspekt bei diesem Thema).

Natürlich muss man bei diesen „Schubladen“ aufpassen, sie nicht als Begründung für eine Einstufung und Abwertung des Menschen zu missbrauchen – dafür sind sie nicht gedacht (und, nebenbei bemerkt, die Absicht zeigt eine ziemlich niedrige Entwicklungsebene). Die Tatsache, dass diese Erkenntnisse missbraucht werden können, heißt jedoch nicht, dass sie falsch sind. Oder drastisch ausgedrückt: Auch ein Krimineller kann die „vier Schritte der GFK“ lernen, aber dadurch wird er nicht automatisch ein besserer Mensch! (s. auch http://nvc-trainer-akademie.com/2013/04/gewaltfreie-kommunikation-schattenseiten/)

Transformation

 

Was leicht übersehen wird: Die Entwicklungsforschung beschreibt noch zwei weitere Entwicklungsrichtungen: Zum einen die sog. „Translation“ , also das Wachstum auf der Entwicklungsstufe, auf der man sich befindet – und die Regression, also eine Rückentwicklung. Aber erst einmal zur Translation.

Translation – mehr wissen, mehr können

Die meisten Menschen können gehen und laufen. Ein Sportler erreicht durch viel Training jedoch ein enormes Wachstum seiner Fähigkeiten (ohne jedoch dadurch notwendigerweise seine moralische Haltung zu verändern) – das ist Translation. Die meisten Menschen können lesen und schreiben. Ein Schriftsteller schafft mit den gleichen Worten neue Welten und begeistert Millionen Menschen (und kann dennoch ein moralischer Egoist bleiben) – das ist Translation.

Translation ist jede Erweiterung der Fähigkeiten, des Wissens (oder der Organisation von Wissen). Dabei bleibt man jedoch auf der Bewusstseins- / Entwicklungsstufe, auf der man sich befindet (also bspw. konventionell). Translation ist natürlich nicht schlecht, ganz im Gegenteil. Das Wissen, das man in der Schule anhäuft ist Translation. Wissenschaft („Wissen schaffen“) ist Translation.

In Bezug auf die Gewaltfreie Kommunikation: Die „vier Schritte“ des Rosenberg Modells sind schnell gelernt, aus einem Buch oder in einem Seminar. Nun versucht man diese im Gespräch mit dem Partner „anzuwenden“ … das ist Translation. Im Bild ist dies eine horizontale Bewegung.

Regression – Rückentwicklung, nicht alles wird immer besser

Die dritte Entwicklungsrichtung ist die Regression, also eine Rückentwicklung auf frühere Stufen, zeitweise oder komplett. Dies geschieht nicht freiwillig, denn man verliert dabei, zumindest zeitweise, die Fähigkeiten und die Perspektiven der höheren Ebene. Regression ist eine (oft sinnvolle) Schutz- und Anpassungsstrategie bei Stress, Überforderung oder Krankheit.

Erst das Fressen, dann die Moral – auch das ist Regression, nicht schön, aber manchmal notwendig. Wenn Menschen krank werden, regredieren sie oft in ihrer Entwicklung, manchmal bis auf die Stufe eines Kindes zurück, z.B. bei Demenz. Aber auch „kleine“ Regressionen sind häufig – ich denke da an den Weihnachtsbesuch im eigenen Elternhaus, wo man schnell mal ein paar Stufen zurück in die Kindheit fällt. Im Bild ist dies die Bewegung abwärts.

Gewaltfreie Kommunikation: Transformativ, translativ – oder regressiv?

Diese Unterscheidung von Transformation, Translation und Regression ist entscheidend für die Frage, zu was die Beschäftigung mit Gewaltfreier Kommunikation beiträgt. Die Frage ist im Grunde: Was befördert Transformation, was Translation, und was Regression?

Zum Glück tappen wir bei dieser Frage auch nicht mehr ganz im Dunkeln. Der Harvard Psychologe Robert Keagan, einer der führenden Forscher auf diesem Gebiet, hat den transformativen Prozess so beschrieben: „Das Subjekt der aktuellen Ebene wird zum Objekt des Subjekts der nächsten Ebene“ (http://en.wikipedia.org/wiki/Robert_Kegan).

Gemeint ist damit folgendes: Transformation vollzieht sich durch eine zunehmende Ent-Identifizierug des „Subjekts“ (des „Egos“) von seinen für „wirklich und dauerhaft“ betrachteten Eigenschaften. Das mit Abstand betrachten dessen, was man gewöhnlich als sein „reales Selbst“ betrachtet führt dazu, dass man bspw. sich selbst als “mehr” wahrnimmt. Dies kann mit Objekten im Außen geschehen in der frühen Kindheit, aber genauso mit Gedanken und Gefühlen. Diese sind ein Teil meines Selbst, aber weil ich sie beobachten kann, sind sie nicht “alles”.

Transformation – das Subjekt betrachtet sich objektiv(er)

Das präkonventionelle Subjekt identifiziert sich unbewusst und komplett mit seinen Wünschen, Gedanken und Bedürfnissen. Nur diese sind real, etwas wichtigeres gibt es nicht in der präkonventionellen Welt.

Beim Übergang auf die konventionelle Ebene erfährt das Subjekt, dass es andere Menschen gibt, deren Sichtweisen und Bedürfnisse genauso real sind. Das Subjekt kann sich von seinen eigenen Sichtweisen etwas entfernen, es kann diese objektiver betrachten und ist so nicht mehr komplett damit identifiziert. Das Subjekt, also das „Ich“ kann nun seine Wünsche objektiv(er) betrachten.Es hat damit eine weitere Perspektive eingenommen, die nun die konventionelle Sichtweise beinhaltet.

Nun bin ich natürlich weiterhin mit etwas identifiziert, ich habe weiterhin ein Subjekt, ein „Ich“ – nur auf einer höheren Ebene. Was früher mein „Ich“ war kann ich nun als Objekt betrachten. Dies ist auch das, was als Bewusstmachung oder Bewusstseinsentwicklung bezeichnet wird, was nur ein anderer Begriff für diese Dis-Identifizierung ist.

Transformation heißt vor allem: Arbeit am Unbewussten

Mit diesen neuen Unterscheidungen kann man mehr Klarheit in das Thema Haltung und Persönlichkeitsentwicklung im Rosenberg-Modell bringen, vor allem wenn es darum geht, wie man das Rosenberg-Modell z.B. in Seminaren vermittelt. Dabei ist das Seminar-Setting entscheidend – damit meine ich die Kombination aus Seminarmethoden und der Persönlichkeit des Trainers.

Für das Seminar-Setting gibt es, mit dem was ich bisher beschrieben habe, drei unterschiedliche Richtungen:

  • Transformative Settings fördern die Dis-Identifizierung bzw. Bewusstmachung bisher unbewusster Anteile.
  • Translative Settings übertragen bereits bewussten Anteile und Fähigkeiten auf neue Bereiche bzw. erweitern diese Anwendungsmöglichkeiten.
  • Regressive Settings unterstützen die Verdrängung bereits bewusster Anteile wieder ins teil- oder ganz Unbewusste.

Das große Missverständnis in der „Gewaltfreien Kommunikation“

Das große Missverständnis nenne ich die irrige Annahme, dass allein die Beschäftigung mit der Gewaltfreien Kommunikation zur Transformation führt bzw. führen muss – das Rosenberg-Modell also quasi eine „Entwicklungsrolltreppe“ sei die immer aufwärts führt – dem ist nicht so.

Transformative Seminarsettings – Selbstreflexion und Selbsterfahrung

Transformative Wirkung hat die Arbeit mit dem Rosenberg-Modell, wenn an der Bewusstmachung bisher unbewusster Denk-, Gefühls- und Verhaltensmuster gearbeitet wird. Dies sind vor allem die selbst-reflexive Arbeit (Selbstempathie) und empathische Klärung mit Trainern, in denen Entwicklungsthemen bewusst gemacht werden. Dabei müssen vor allem auch die „verpackten“ Emotionen und Bedürfnisse wieder bewusst gemacht werden. (Im GFK-Jargon: „Arbeit an den bewertenden Wölfen“ oder auch Schattenarbeit genannt, verletzende Glaubenssätze erkennen, „alte Verletzungen bearbeiten“ u.ä.).
Transformative Methoden sind, vereinfacht gesagt, alle Methoden, die das „Zu-sich-Kommen“, das vertiefte „Über-sich-Nachdenken“ und „Nachfühlen“ unterstützen. Das können auch meditative und kontemplative Methoden sein.

Translative Seminarmethoden – „üben, richtig zu sprechen“

Translative Methoden verstehen die Gewaltfreie Kommunikation als ein Sprach- und Rhetorikmodell, bei dem vor allem neue Sprachmuster trainiert werden. Es geht darum, sich „in vier Schritten“ auszudrücken, es wird mit Gefühls- und Bedürfnisslisten gearbeitet, in Rollenspielen, „6-Stühlen“ und „Tanzparkett“ wird eine „gewaltfreie Sprache“ geübt. Die allermeisten der in den bekannten Übungsbüchern beschriebenen Methoden und Übungen sind translative Methoden.
Wie gesagt, Translation im Allgemeinen ist absolut wichtig und notwendig. Nur sind translative Methoden für die Arbeit an der Haltung wirkungslos – und darum soll es ja in der Gewaltfreie Kommunikation gehen, so zumindest der Anspruch.

Regression in der Gewaltfreien Kommunikation – Wölfe im Schafspelz

Was ich bedenklich finde, sind die regressiven Entwicklungen, die ich seit Jahren in der GFK-Szene beobachte. Es gibt mehrere Merkmale für diese Regression, bspw. die „gewaltfreien“ Sprachfloskeln – die die Freiheit und Spontanität einschränken – oder die „gewaltfreien“ Regeln, wie man sich im Gespräch zu verhalten hat (z.B. laufend zu wiederholen, was man gehört hat) – die die Echtheit und Authentizität einschränken.

Warum Regressionstendenzen dort so stark sind, kann ich nur vermuten. Mein Eindruck ist, dass der transformative Aspekt in vielen Seminaren und Ausbildungen wenig bis gar keine Rolle spielt. Die Gefahr ist dann wohl groß, dass sich die regressiven Tendenzen, die wir ja alle haben, mit der „Gewaltlfreien-Sprache“ sehr wohl fühlen. Dann muss man sich nicht mit den eigenen Schattenseiten und Fehlern beschäftigen, sondern darf sich sogar noch „gewaltfrei“ nennen. Das ergibt dann als Transformation getarnte Regression, oder, wie Marshall Rosenberg es nannte: „Die Wölfe im Schafspelz…“

Quellen:

Carl Rogers zu Persönlichkeitsentwicklung: http://www.donau-uni.ac.at/imperia/md/content/studium/umwelt_medizin/psymed/artikel/a4oegwg.pdf