+49 157 7522 8823 oder +49 172 6046091 info@knotenloesen.com

…. zumindest nicht in dem Sinne, wie ich Bedürfnisse in der Gewaltfreien Kommunikation verstehe. In Diskussionen über Fragen der Organisationsentwicklung sprechen wir manchmal davon, dass auch ein Unternehmen „Bedürfnisse“ wie z.B. Existenz, Sicherheit, Anerkennung etc. habe.

Es geht schnell von den Lippen bei Teams, Organisationen und Unternehmen oder gar bei ganzen Ländern mit der gleichen Selbstverständlichkeit von deren „Bedürfnissen“ zu sprechen wie bei individuellen Menschen. In einem allgemeinen Sinne halte ich dies auch für opportun, z.B. wenn wir sagen, eine Firma „möchte überleben“ und damit meinen, „alle Menschen, die in dieser Firma arbeiten, möchten (gut) leben“. Ich halte es jedoch für methodisch unsauber und vor allem für potentiell gefährlich, wenn wir glauben, Gruppen von Menschen, Organisationen oder gar Länder hätten im gleichen Sinne Bedürfnisse wie Individuen.

Menschen sind lebendig, Organisationen nicht

Die Begründung ist meines Erachtens simpel: Menschen sind lebendig, Organisationen nicht.

Eine Organisationen ist eine Ansammlungen von Menschen, ein Kollektiv, das sich auflöst (und nicht „stirbt“), wenn die darin versammelten Menschen weggehen (oder sterben).

Eine Unternehmen oder ein Land ist nicht in gleicher Weise lebendig wie ein Mensch (oder Tier oder eine Pflanze). Ein Mensch hat/fühlt Gefühle – eine Organisation nicht. Ein Mensch lebt, eine Organisation funktioniert.

Natürliche Hierarchien

Die klare Unterscheidung, wer oder was hier „Bedürfnisse hat“ halte ich für essentiell. Denn schnell werden Gruppen- und Organisations-„Bedürfnisse“ als „wichtiger“ oder „höher“ erachtet als die Bedürfnisse einzelner Menschen – und damit die Durchsetzung bestimmter Strategien und Lösungen begründet und durchgesetzt.

Eine Grund hierfür ist meiner Meinung nach, dass laufend natürliche Hierarchien mit willkürlichen Hierarchien verwechselt werden – was oft zu dem führt, was wir „Dominanz-Hierarchien“ nennen.

Eine natürliche Hierarchien ist z.B. die Abfolge: Atom – Molekül – Zelle – Organ – Organismus/Mensch. Jede niedrigere Ebene ist grundlegender (!) als die höhere. Ein Atom ist grundlegender als ein Molekül denn ohne Atome gibt es keine Moleküle (und keine Zellen, Organe etc.). Moleküle sind dagegen wertvoller (!) als Atome. Die höheren Ebenen (Organe, Mensch) haben mehr Tiefe, Potential, Qualität, Komplexität – Menschen schreiben Gedichte, lieben, sind kreativ – Atome nicht.

Willkürliche Hierarchien

Nun werden diese Hierarchien oft so erweitert: Atom – Molekül – Zelle – Organ – Mensch – Familie – Organisation – Nation – Weltgemeinschaft. Sieht sehr einleuchtend aus, oder?

Hier werden jedoch die berühmten Äpfel mit Birnen verglichen, denn ab „Familie“ beschreibt dies keine Abfolge einer natürlichen Hierarchie mehr, sondern verschiedene Gemeinschaftsformen (Kollektive) des Individuums Mensch.

Und hier beginnt die Schwierigkeit: Eine Mensch ist nicht in gleicher Weise Teil einer Familie wie bspw. eine Zelle Teil eines Menschen ist. Wenn ein Mensch sich entscheidet, von A nach B zu gehen, bewegen sich ehen alle Zellen mit, ohne Diskussion oder Wahl. Gleichzeitig wäre es unsinnig zu sagen, ein Mensch „unterdrücke seine Zellen“ oder er übt „Dominanz“ gegenüber seinen Organen aus.

Eine Mensch ist Mitglied (und nicht Teil) einer Gemeinschaft. Er kann eine Familie oder Nation verlassen (ist also autonom, was eine Zelle in einem Körper nicht ist), er kann einer anderen Gemeinschaft beitreten etc. Ein Mensch wählt Mitglied einer Gemeinschaft (Organisation, Land) zu werden bzw. zumindest zu bleiben (Familie). Eine Familie, eine Organisation oder Land kann eine ungesunde Dominanz-Hierarchie entwickeln wenn nur die Bedürfnisse weniger Beachtung finden bzw. erfüllt werden. Die Unterscheidung „Dominanz-“ und „funktionale Hierarchie“ macht daher nur bei (gewählten) willkürlichen Hierarchien Sinn.

„Organsiations-Bedürfnisse“ sind ein Konsens über Strategien oder Werte

Das was wir umgangssprachlich als „Bedürfnisse“ von Gruppen oder Organisationen bezeichnen, würde ich lieber einen „Konsens über Lösungen/Strategien oder Werte“ nennen. Dieser Konsens zeigt wie die Bedürfnisse der beteiligten Menschen zu einem bestimmten Zeitpunkt erfüllt werden. So vermeiden wir, dass der Eindruck entsteht, das „Existenzbedürfnis“ eines Unternehmens mit 1000 MitarbeiterInnen sei wichtiger oder auch nur genauso real wie das Bedürfnis eines Mitarbeiters, der entlassen werden soll. Die 1000 Mitarbeiter entscheiden sich (Konsens) das Unternehmen „am Leben zu erhalten“ – weil dies ihre individuellen Bedürfnisse (nach Leben, Anerkennung, Gemeinsamkeit, Sinn etc.) erfüllt bzw. erfüllen soll (dass es dies oft gerade nicht tut, ist ein anderes Kapitel).

Bedürfnisse sind keine Werte

Es macht für mich in diesem Zusammenhang sehr viel mehr Sinn, von den Werten eines Unternehmens oder eines Landes zu sprechen, als von deren „Bedürfnissen“.

Werte sind keine Bedürfnisse – Werte sind ein gesellschaftlicher Konsens (der individuell gelernt und übernommen wird). Gerechtigkeit ist ein Wert – Zugehörigkeit ist ein Bedürfnis. Pünktlichkeit ist ein Wert (der kulturell geprägt ist) – Geborgenheit ist ein Bedürfnis (das alle Menschen teilen).

Werte ändern sich (mit dem Unternehmen, mit der Zeit, mit dem Land) – Bedürfnisse teilen wir alle, zu jeder Zeit, in jedem Land (und manche sogar mit Tieren oder Pflanzen).

Manchmal bezeichne ich Werte auch als kollektive Strategien, um individuelle Bedürfnisse zu erfüllen. Werte dienen (im besten Falle) dazu, Bedürfnisse zu erfüllen. Wenn alle (kollektiv) pünktlich sind, erfüllt das meine (individuellen) Bedürfnisse z.B. nach „Klarheit“, oft auch „Anerkennung“ u.a.

Wer die vier Quadranten der integralen Theorie kennt, wird sehen, dass Werte im linken unteren Quadranten liegen – sie sind kollektiv-subjektiv (ein Konsens zwischen Individuen) und Bedürfnisse im linken oberen Quadranten – sind sind auch subjektiv, aber nur individuell innerlich erleb- und spürbar. Die Tatsache, dass man beide, Bedürfnisse und Werte, nicht „außen“ sehen oder anfassen kann, macht es so leicht, sie zu verwechseln bzw. zu vermischen.

Bedürfnisse sind nicht wichtiger als Werte – oder schon?

Ich möchte hier nicht so verstanden werden, dass ich sage (indivduelle) Bedürfnisse seien (un-)wichtiger als (kollektive) Werte (ich sage: Werte und Bedürfnisse sind nicht das Gleiche). Die Frage nach der Balance individueller Bedürfnisse und kollektiver Werte ist, natürlich, eine Wertediskussion, die der Mensch führt (und führen muss) seit er denken und kommunizieren kann. Diese Diskussion kann man „gewaltfrei“ führen oder nicht – und so schließt sich der Kreis hier…

In diesem Sinne (Kreis = Ei = Ostern… na ja, etwas weit hergeholt, gebe ich zu) 😉 wünschen wir allen schöne und erholsame Ostern!