1. Sei ehrlich(er) zu dir selbst
Nimm Dir Zeit, dir selbst zuzuhören. Welche Gedanken und Gefühle über dich und dein Leben möchten gehört werden? Welche Bedürfnisse sind damit verbunden, finden aber wenig Beachtung? Deine Gedanken und die damit verbundenen Gefühle sind ein Schlüssel zu deinen authentischen Bedürfnissen. Auch und gerade die Gedanken, die dir nicht gefallen, die dich, andere oder das Leben bewerten.
Denkst du, dein Chef ist ein Tyrann? Lass diesen Gedanken zu (was nicht unbedingt heißen muss, ihn auszusprechen!) und finde die unerfüllten Bedürfnisse dahinter – diese haben ein Recht anerkannt und gelebt zu werden. Sehnst du dich vielleicht nach Anerkennung? Nach Unterstützung? Vielleicht aber auch nach einem tiefen Sinn für deine Arbeit? Wer weiß – das kannst nur du rausfinden.
2. Sei ehrlich(er) zu anderen
Ich erlebe oft, dass Menschen, die die Gewaltfreie Kommunikation kennen lernen, sich danach kaum noch trauen, einen Satz auszusprechen ohne die Worte „Ich fühle…“, „Ich habe das Bedürfnis“ und „Wärst Du bereit…“ o.ä.
Mal ehrlich, das treibt einen doch in den Wahnsinn! ;o) Die Gewaltfreie Kommunikation möchte Menschen innerlich freier machen! Also bitte weniger (Selbst-)Zensur und mehr Mut zur (eigenen) Wahrheit und Echtheit!
Die ganze „Übersetzerei“ in „Beobachtung, Gefühle, Bedürfnisse und Bitten“ wird schnell künstlich, unpersönlich und nervend. Wer mit etwas Übung den inneren (!) Kontakt zu seinen Bedürfnissen spürt, braucht weniger über die Wortwahl nachdenken und kann spontaner reagieren.
Führt das nicht zu mehr Konflikten, statt weniger? Sagen wir mal so: Es wird in den Beziehungen, die dir wichtig sind, die verdeckten und unterdrückten Konflikte auf den Tisch bringen und so die Chance für Wachstum und Heilung bieten. Dafür kann deine Ehrlichkeit der erste Schritt sein. Hat jemand behauptet, durch Gewaltfreie Kommunikation werde das Leben ruhiger? Ich sicher nicht ;o)
3. Du musst gar nichts…
Ich bin immer wieder erschrocken, wie stark ich mein Leben innerhalb vorgegebener, unhinterfragter Konzepte lebe und gelebt habe – ohne Klarheit über meine Bedürfnisse, die ich mir erfülle, oder eben oft nicht erfülle. Traurig aber war, oft handle ich weil ich mir sage : „Ich muss…“, „Ich sollte…“, „Ich darf nicht…“ etc. Also, tief Luft holen – „Ich muss gar nichts!“ (den Satz kennt selbst schon meine 6 Jahre alte Tochter).
Wichtiger ist doch: Wie fühle ich mich wirklich? Wie zufrieden bin ich mit meinem Leben, in meinen Beziehungen, mit meinem Beruf? Was tue ich aus mir heraus, aus dem echten Kontakt mit meinen Bedürfnissen – und was aus Gewohnheit, aus Angst vor den Konsequenzen, aus übernommenen Vorstellungen heraus, was andere denken, wie ich zu funktionieren habe?
Wie geht es mir wirklich und was brauche ich? Das sind doch die spannenden Fragen im Leben, oder? Aber Achtung: Für Nebenwirkungen wie erhöhte Lebendigkeit und Aufregung wird keine Haftung übernommen.
4. Nimm Dir Zeit für Dich: Was löst Ärger, Schmerz oder Angst aus?
Die vier Schritte der Gewaltfreien Kommunikation sind für mich immer noch das Mittel der Wahl, wenn ich meine innere Klärung schwieriger Situationen vornehme. Wer sie nicht mehr parat hat, sie lauten:
1. Unterscheide Beobachtungen von deinen Gedanken
2. Unterscheide deine Gefühle von deinen Gedanken
3. Unterscheide deine Bedürfnisse von den Wegen (Strategien), wie diese erfüllt werden
4. Unterscheide Bitten/konkrete Strategien von Wüschen oder Forderungen (an dich oder andere)
Nimm eine beliebige Situation aus deinem Leben, die du klären möchtest und gehe die Schritte langsam und aufmerksam durch. Aufschreiben ist anfangs eine sehr gute Idee, weil dies den inneren Fokus auf den vier Schritten hält.
Lass alles zu, alle Gedanken, alle Gefühle – das ist die Zeit, ehrlich mit dir selbst zu sein. Diese Form der Selbstempathie, die anfangs der Übung bedarf, führt zu einer spürbaren körperlichen Entspannung, zu innerer Klarheit und Stärke.
7. Nimm dir Zeit zum Feiern und zum Trauern
Es gibt eigentlich nur zwei wichtige Prozesse in der Gewaltfreien Kommunikation: Feiern, wenn die eigenen Bedürfnisse erfüllt sind, und Trauern, wenn sie es nicht sind. (Marshall Rosenberg, Gründer der Gewaltfreien Kommunikation)
In jedem Moment meines Lebens sind meine Bedürfnisse entweder erfüllt, ich fühle mich sicher, zufrieden, satt etc. und ich habe einen Grund zu feiern – oder sie sind unerfüllt, ich bin unruhig, traurig, verletzt, und dann ist es Zeit, die unerfüllten Bedürfnisse zu betrauern.
Erfahrungsgemäß fällt das Feiern einfacher als das Trauern. Sich „schlecht“ zu fühlen oder gar zu weinen wird selten wirklich geschätzt und schnell wird man bewertet als kindisch, zu sensibel oder schwach. Dies ist nicht nur schade, es ist vor allem ungesund. Trauern ist ein natürlicher und wichtiger Prozess um schmerzliche Erfahrungen zu verarbeiten und „loszulassen“ – und so wieder den Kontakt zu den lebensdienlichen Bedürfnissen zu finden. Und nach den Tränen kann auch die spontane, echte Freude wieder durch den dunklen Vorhang der Trauer scheinen.
Seminare zum Thema
Sei Du Selbst! Vertiefungstage Gewaltfreie Kommunikation mit Markus Sikor, 22. – 25. Januar 2009 in Utting am Ammersee
Trauern und Loslassen, Vertiefungstage Gewaltfreie Kommunikation mit Markus Sikor, 5. – 8. März 2009 in Utting am Ammersee
Hallo Markus,
mir gefällt, dass du den vier Schritten ein „Unterscheide“ vorangestellt hast. Wenn ich in der Form an sie denke, erhöht das die Chance, dass ich bedingungslos ehrlich mit mir und anderen bin, da auf die Weise ich auch den Dingen Gehör und Raum gebe, die noch nicht klar sind, sondern noch in Form von Gedanken, Forderungen, Wünschen in meinem Kopf herumschwirren. Ich kann dann mit mehr Ruhe und Gelassenheit an sie heran gehen, wenn ich einfach nur aufmerksam eine Unterscheidung mache, statt das eine hervorzuheben und das andere wegzudrücken.
Danke schön.
Niklas
@Niklas: Hallo Niklas, vielen Dank für deinen Kommentar – freut mich, wenn du meine Meinung teilst (das habe ich immer lieber ;o). Ja, ich habe mir angewöhnt die „4 Schritte“ nicht mehr als „So kann man reden“- Konzept vorzustellen, weil das meiner Erfahrung nach die Selbstzensur total verstärkt – und damit zum genauen Gegenteil dessen führt, was die Gewaltfreie Kommunikation ja auch (nicht nur) will – nämlich Ehrlichkeit. Was ja nicht heißt, dass ich alle Gedanken ausspreche – dafür sorgen schon meine eigenen Bedürfnisse – z.B. um die Zugehörigkeit nicht zu verlieren (wenn sie mir wichtig ist) usw.
So, lass uns daran arbeiten, dass es mehr radikal ehrliche „Giraffen“ werden – und keine pseudo-gezähmten „Wölfe“ :o)
Alles Gute!
Mit herzlichen Grüßen,
Markus Sikor
Bin dabei! Frag mal meine Mitmenschen… 😉 Vor kurzem hab ich mir wiederholt „Kosmic Consciousness“, ein 10-CD Interview mit Ken Wilber angehört. Sehr zu empfehlen, wenn man Wilber persönlicher erleben will.
Eine Sache, die mir dabei echt gefiel war, dass er Psychotherapie und spirituelle Praktiken der Entwicklungslinie des inneren Zeugen zuwieß, letztlich der Ego-, oder Selbst-Entwicklung – nur dass sie auf verschiedenen Stufen effektiv sind. Es geht also darum, den inneren Beobachter zu stärken. Mit dem „Unterscheide“ passt auch GfK noch besser da rein. Das also noch, um deinen Beitrag in die Reihen der großen Weisheitstraditionen zu integrieren 😉
@Niklas: Freut mich, dass du auf Wilber und sein Werk hinweist! „Kosmic Consciousness“ ist auch eines meiner Lieblingswerke von Wilber – gerade weil er selbst erzählt kommt die ganze, sonst doch etwas trockene „integrale Geschichte“ sehr viel humorvoller und lebendiger rüber.