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Menschen Diese Frage wurde mir ein paar Mal gestellt, hauptsächlich von Interessenten an einer Ausbildung in Gewaltfreier Kommunikation. Auf meine Nachfrage, was sie denn unter “systemisch” verstünden, stellte sich dann oft heraus, dass ihnen unklar ist, was der Begriff meint bzw. dass ihre und meinen Definition von “systemisch” nicht so ganz übereinstimmen.

Mir scheint der Begriff “Systemisch” ist auf dem Beratungs- und Ausbildungsmarkt seit ein paar Jahren “in”. Aus einer normalen Mediationsausbildung wird dann eine “systemische Ausbildung in Mediation”, um sich von anderen Angeboten abzuheben. Ob das inhaltlich immer gegeben und sinnvoll ist, wage ich zu bezweifeln…

Was bedeutet der Begriff “systemisch”?

Die Systemtheorie, speziell die systemische Therapie betrachtet den Menschen nicht (nur) als Individuum, sondern als Teil eines Ganzen, eines Systems. Für Menschen, die sich mit der integralen Theorie befassen, ist das nichts Neues (by the way, der nächste Trend im Beratungsmarkt wird “integral” sein, mal sehen, wie sich das verkauft ;o)

Die Idee, den Menschen nicht (nur) als unabhängige Einheit, sondern als abhängigen Teil eines Systems zu betrachten, ist natürlich nicht neu. Sie fängt bei den alten Griechen an, wie fast alle spannenden Dinge, eine ausführliche Darstellung dazu findet sich hier. Neuen Aufschwung hat diese Theorie mit dem Aufkommen des Konstruktivismus und den Arbeiten von Paul Watzlawik , Virginia Satir und anderen erhalten.

Systemisch betrachtet “hat” ein Mensch nicht bestimme Eigenschaften (z.B. Gefühle, Verhaltensweisen etc.) sondern er entwickelt sie in einer bestimmten Umwelt (System). Das System “konstruiert” also einen Menschen. So kann ein Kind in einer Familie bestimmte Verhaltensweisen zeigen (oder krank werden), die es in einem anderem Umfeld nicht zeigt. Dieses Phänomen ist allen Eltern wohl bekannt, deren Kinder zuhause die Bude auf den Kopf stellen, bei Oma und Opa aber die reinsten Engel sind.

Die Frage, ob es gar keine systemunabhängigen Eigenschaften gibt, also ob ein Mensch nicht doch bestimmte Eigenschaften “hat”, ist spannend und ungeklärt. Menschen haben einen freien Willen.  Der Einfluss des Systems auf unser Verhalten ist jedoch stark, stärker als wir uns oft bewusst sind. Das zeigen z.B. das berüchtigte Gefängnis Experiment von Phillip Zimbardo oder das Milgram-Experiment , das ja gerade vom französischen Fernsehen wiederholt wurde, mit den gleichen erschreckenden Ergebnissen.

Wann macht der Begriff “systemisch” Sinn – und wann nicht?

Das Systemdenken war ein großer Fortschritt in der Therapie und Beratung, weil es den Einfluss des Umfelds betont und den Einfluss des Individuums relativiert hat. Wo früher der Einzelne als “Problem” identifiziert und behandelt wurde, hat man jetzt erkannt, dass oft das System die Ursache war bzw. erheblichen Einfluss hat. Damit konnten neue, hilfreiche Behandlungsmöglichkeiten entwickelt werden (Systemaufstellung, Skulptur).

Andererseits sollte Beratern, Mediatoren, TrainerInnenn etc. klar sein, dass Kommunikation zwischen Menschen immer systemisch ist. Es gibt keine “individuelle” Kommunikation, dafür braucht es mindestens einen “Sender” und einen “Empfänger”, also ein System. Eine Beratung, Therapie oder ein Training kann systemisch oder nicht-systemisch orientiert sein. Der Begriff “Systemische Kommunikation” macht keinen Sinn, weil es eine “nicht-systemische Kommunikation” nicht geben kann…

Um auf Ausgangsfrage  “Ist die Gewaltfreie Kommunikation systemisch?” zurückzukommen. Diese Frage macht mir nicht viel Sinn. Hilfreicher finde ich die Überlegung, inwieweit systemische Überlegungen in Seminaren und Ausbildungen in Gewaltfreier Kommunikation eine Rolle spielen. In meinen Trainings sage ich bspw., dass Gewalt auf verschiedenen Ebenen betrachtet werden muss, auf der individuellen Ebene (“Ich”), auf der Beziehungsebene (“Wir”, System) und auf der strukturellen Ebene (“Das Ganze”, sozialer Wandel).

Der Schwerpunkt in meinen Ausbildungen liegt auf der individuellen und der Beziehungsebene des Systems. Die Arbeit an emotionalen Mustern, an Glaubenssätzen etc. ist am Individuum orientiert, also nicht “systemisch”. Ein Rollenspiel, in dem ich dabei unterstütze, sich ehrlich auszudrücken und mit dem anderen in Verbindung zu bleiben, ist immer systemisch orientiert. Und auch das Thema des gewaltfreien sozialen Wandels berührt natürlich diese Ebene.

Foto (c) pixelio, Stephanie Hofschlaeger