DER (UN)SINN VON ROLLENSPIELEN IN AUSBILDUNGEN FÜR GEWALTFREIE KOMMUNIKATION
„Gewaltfreie Kommunikation funktioniert gar nicht!“
Neulich rief eine Seminarinteressentin an und erzählte, das sie gerade eine Ausbildung in Gewaltfreier Kommunikation besuche. Dort würden sie fast nur Rollenspiele machen und sie meinte, dass das kaum etwas bringe und es im Alltag „mit der Gewaltfreien Kommunikation nicht funktioniert“. Das wundert mich nicht. Wir werden oft gefragt, wie wir in unseren GFK-Ausbildungen arbeiten und ernten dann Verwunderung, wenn wir erzählen, dass wir rein prozessorientiert arbeiten und es bei uns keine – nein, keine – Rollenspiele gibt (mit Ausnahme der Mediationsausbildung.)
Wann machen Rollenspiele Sinn – und wann nicht?
Ein Rollenspiel kann verschiedene Zwecke erfüllen: Man kann Rückmeldungen bekommen für das eigene Verhalten, neue Verhaltensweisen spielerisch ausprobieren etc. In vielen Ausbildungen zur Kommunikation werden Rollenspiele anscheinend so eingesetzt. Teilnehmer, die eine Situation „gewaltfrei verändern“ möchten, üben darin die „Vier Schritte der Gewaltfreien Kommunikation“ und bekommen dann Feedback, wie „gewaltfrei“ dieser Dialog war, was sie besser gesagt hätten etc.
Dabei entstehen leider diese gestelzt und unnatürlich klingenden Dialoge, die man in so vielen Büchern/Videos liest und sieht. Fakt ist: Diese Dialoge klingen nicht nur unrealistisch, sie sind es auch! Wenn man versteht, dass es prinzipiell keine gewaltfreien Worte gibt (Link) und wie die Integration der Haltung (und nicht der Worte!) der Gewaltfreien Kommunikation funktioniert (Link), dann versteht man auch, warum Rollenspiele in der Ausbildung wenig bzw. keinen Sinn machen!
Gewaltfreie Kommunikation besteht nicht aus „4 Schritte sprechen“
Unserer Erfahrung nach dienen Rollenspiele in einer GFK Ausbildung allenfalls dazu, die Auslöser zu identifzieren, die jemand aus der empathischen Haltung mit sich oder anderen fallen lassen (mit den Symboltieren der GFK gesagt: Die Auslöser dafür, wann man die „Giraffenohren“ verliert). Wenn man diese Auslöser gefunden hat, kann man das Rollenspiel beenden. Denn nun braucht es „High-Quality-Empathie“, um zu klären, was genau da innerlich passiert; welche Bedürfnisse so gefährdet waren oder sind, dass man in den „Kampfmodus“ fällt („mit Wolfsohren rumläuft“).
In dieser Empathie geschieht der innerliche Kärungsprozess mit den eigenen Gefühlen und Bedürfnissen. Das bewusste Nacherleben der meist automatischen, unbewussten Reaktionen unterstützt die Trennung von Auslöser („der andere tut mir weh“) und Ursache („meine unerfüllten Bedürfnisse tun weh“) der schmerzlichen Gefühle – und diese innere Trennung und Differenzierung ist es, die zu einer Integration der „gewaltfreien Haltung“ führt.
Auslöser und Ursache von Gefühlen müssen getrennt werden – und genau das passiert nicht im Rollenspiel!
Wenn diese Empathie nach einem Rollenspiel nicht stattfindet, wird sich auch das emotionale Verhaltensmuster nicht ändern. Man wird beim nächsten Mal wieder genauso wütend, verletzt etc. reagieren – und das ganze Rollenspiel war für die Katz! Was Trainer, die vor allem Rollenspiele anbieten, anscheinend nicht realisieren, ist, dass sie den wichtigsten (!) Teil der Arbeit, die tiefgehende Empathie für die Auslöser vernachlässigen. Die Empathie dauert in unseren Ausbildungen bis zu eineinhalb Stunden, ist also nicht so nebenbei zu erledigen, sondert nimmt erheblich Zeit in Anspruch.
Fragen Sie Ihre Ausbilder, wie sie Rollenspiele verstehen und einsetzen
Viele Ausbilder hoffen stattdessen, dass die Teilnehmer ihr antrainiertes Verhalten dann auch im Alltag anwenden können. Aber das funktioniert sehr selten, wenn überhaupt. Diese Ausbilder haben meines Erachtens die Unterscheidung von Auslöser und Ursache von Gefühlen nicht wirklich verstanden oder sie können nicht die Empathie in der Tiefe geben, die für die Differenzierung von Auslöser/Ursache notwendig ist. Das ist schade, für die Teilnehmer – und für die Glaubwürdigkeit der Gewaltfreien Kommunikation. Und da muss ich auch Sven mit seinem super Cartoon widersprechen: „Empathie ist nicht Silber“ , nein, Empathie ist das wahre Gold der GFK. Aber natürlich nicht die Art von Pseudo-Empathie die Sven, zu Recht, veräppelt. Die ist wirklich zum Davonlaufen. Fragen Sie also Ihre Ausbilder mal, wie sie Rollenspielen verstehen und einsetzen, wieviel Erfahrung sie mit tiefer Empathie haben (z.B. wie lange eine Empathiesitzung durchschnittlich dauert, unter 45 Minuten geht es kaum) – dann können Sie sich hoffentlich Enttäuschungen in der Ausbildung ersparen.
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Hier einige Reaktionen auf meinen Artikel „Der (Un)Sinn von Rollenspielen in der Ausbildung Gewaltfreie Kommunikation“ auf Facebook
Ich werde später auf die inhaltlichen Punkte eingehen. Ich freue mich über weitere Kommentare.
Viele Grüße, Markus
Lieber Markus,
ich habe jetzt vor der Abreise nicht ausreichend Zeit, um auf deinen für mich sehr interessanten und nachvollziehbaren Artikel einzugehen…da möchte ich mir gerne mehr Zeit nehmen…hoffe, es gelingt mir bald, wollte dich jedenfalls wissen lassen, daß ich mich damit beschäftige und ich mich auf Austausch freue…
Alles Liebe,
Heute noch aus Salzburg,
Eva
Danke, Eva, das freut mich und dann bin ich gespannt auf deinen Erfahrungen damit.
Herzliche Grüße nach Salzburg!
Markus
Lieber Markus,
ich habe gerade ein bisschen über deinen Artikel nachgedacht.
In meinen ersten GFK-Ausbildungen kamen überhaupt keine Rollenspiele vor. Später habe ich sie durchaus schätzen gelernt und bitte mittlerweile manchmal auch Empathiepartner darum, mit mir Rollenspiele zu machen.
Allerdings denke ich bei „GFK-Rollenspiel“ nicht an „Fähigkeiten antrainieren“.
Am wichtigsten finde ich, dass man sich vor dem Anleiten oder Machen eines Rollenspiels bewusst macht, was man für eine Absicht damit verbindet (und ein entsprechendes Format wählt, welches diese Absicht unterstützt).
Geht es mir um Feedback zu eigenen blinden Flecken/Lernfeldern?
Darum, jemand anderen aus einer erstarrten Schublade rauszuholen und wieder als Menschen wahrzunehmen, der auch Gefühle und Bedürfnisse hat? (z.B. nach einer Empathiesitzung)
Ist das Rollenspiel selbst für mich eine Strategie für Tiefenempathie?
Oder möchte ich mich als Zuschauer inspirieren lassen, wie es aussehen könnte, wenn jemand, der gerade mehr mit sich selbst verbunden ist als ich, ein Gespräch zu „meinem“ Thema führt?
Im Übungsbereich mag ich z.B. stark verlangsamte Rollenspiele, bei denen man nach jedem Satz eine Rückmeldung bekommen kann, wie Empathie oder Ehrlichkeit beim anderen landen, bzw. an welcher Stelle und wodurch die Verbindung flöten geht (Was ja durchaus eine Einladung ist, die eigene Haltung zu reflektieren). Klar, das kann man natürlich auch mit Live-Situationen machen, ist aber herausfordernder, weil es gleichzeitig Übung/zum Lernen beitragen und Ernst ist.
Eine Rollenspielform, die mir persönlich schon mehrfach weitergeholfen hat, ist eine dreiteiliges Rollenspiel, das John Kinyon damals mit den Worten vorstellte, es würde unser Gehirn dabei unterstützen, vor einem schwierigen Gespräch in einen entspannten Zustand zu kommen. Es ist einer der Rollenspielarten, bei denen jemand, der gerade volle Empathietanks hat (z.B. ein Coach oder tiefenempathieerfahrener Freund), jemand anderen unterstützen kann.
In Teil 1 spiele ich mich selbst, und derjenige, den ich um Unterstützung gebeten habe, spielt die andere Person und setzt seine „Giraffenohren“ auf. (Ich bekomme also Empathie, und das auch noch von jemandem, der gerade den Auslöser verkörpert. Natürlich ist es wichtig, dass der andere in dieser Situation zu echter Empathie in der Lage ist, damit Auslöser und Ursache sich nicht vermischen)
In Teil 2 tauschen wir die Plätze. Ich spiele die andere Person, und der andere spielt mich mit Giraffenohren. (auch spannend, mal in der Rolle des anderen zu schimpfen und dabei empathisch abgeholt zu werden. Wenn Teil 1 lang genug war.)
In Teil 3 bin ich wieder ich, und der andere spielt den anderen, und wir bemühen uns beide, das Gespräch aus einer GFK-Haltung zu führen (auf welche Weise auch immer).
Klar kann man da „durchhuschen“, aber wenn ich mir wirklich Zeit dafür nehme, komme ich dabei in der Tiefe mit meinen eigenen Bedürfnissen in Verbindung, ohne mich zu überfordern. Ich habe durch den Perspektivenwechsel die Chance, den anderen wieder zu vermenschlichen und erlebe danach etwas, das zwar vielleicht etwas zu schön um wahr zu sein ist, aber meinen von Stress und Angst geprägten Gedanken eine Alternative gegenüberstellt, die mir Mut macht, doch das Gespräch zu suchen. Und mir ist es schon mal passiert, dass ein darauf folgendes Gespräch mit der „echten“ Person sich ganz genauso entfaltet hat.
Da ich Rollenspiele primär aus solchen Kontexten kenne und erlebt habe, wie sie mich verändert haben, ist mir die Idee fremd, Rollenspiele könnten zu Enttäuschungen im Alltag führen. Für mich sind Rollenspiele ein hilfreiches Mittel, um mich aus dem Kopf ins Herz zu holen. Und ich glaube, ich möchte mir nächstes Jahr wieder mehr Zeit dafür nehmen.
Viele Grüße
Ariane
Liebe Ariane, Vielen Dank für deinen Kommentar. Ich kann das gut nachvollziehen was du schreibst. Natürlich kann man in so einem Rollenspiel etwas über sich lernen. Dennoch halte ich den Empathie Effekt durch ein Rollenspiel für sehr begrenzt. Mehr dazu im nächsten Artikel zur Empathie. Viele Grüße, Markus
Lieber Markus,
jetzt wurde so viel diskutiert über „Rollenspiele“ und du wolltest die Grenzen davon aufzeigen und da entdekce ich ganz aktuell ein neues Buch, was genau beides tut: Neue erfundene Rollenspiele und die bisherigen Grenzen von GFk aufzeigen…
Spannend oder ?
Ich mags kurz verlinken und bitte sieh dir mal die Fallen an 😉
Sumita
http://www.amazon.de/Fallen-Gewaltfreien-Kommunikation-Kendra-Gettel-ebook/dp/B00ANV9LBK#_